Steinkind

On: 04/10/2011

 

2.10.2011 Werk 2, Halle D

Die Steinkinder feierten am Samstag ein Heimspiel. Mit im Gepäck: eine neue Scheibe, sowie Hartung & Schleinitz.

 

Wer bei <1979> unweigerlich an das Veröffentlichungsjahr der wohl besten Alben von The Clash, Joy Division oder Pink Floyd denken muss, liegt bei Konzerteröffnung, zumindest musikalisch, gänzlich falsch: das von den Leipzigern Dr. Molle und dj frequen-c gegründete Duo trommelt und wummert sauberen Industrial, gegen den selbst Feindflug seltsam melodisch wirken. Trotz wirklich gutem Sound – mehr als ein bisschen Kopf- und Fußwippen ist beim, bis zu diesem Zeitpunkt zahlenmäßig noch recht überschaubaren, Publikum einfach nicht drin. Dreißig, von den meisten Besuchern für etliche Zigaretten genutzte, Minuten später betreten André Hartung (Sero.Overdose, Patenbrigade: Wolff) und Sebastian Schleinitz (Captive of Society) samt dem gut gelaunten Brigadier Sven Wolff die Bühne. Letzterer sorgt nicht nur beim wirklich gelungenen Remix des neuen Patenbrigade: Wolff Songs „Kraftfeld“ für die Unterstützung am Keyboard.

Musikalisch lassen sich Hartung & Schleinitz irgendwo in den Electro-Weiten zwischen Melotron und Solitary Experiments verorten. Und trotzdem: der Funke will einfach nicht so recht überspringen. Einzig die mitgereisten Fans können den pampigen Ansagen und den eher an Animationsversuche bei Kinderfesten („Wir haben Geschenke mitgebracht. Wer von euch will Geschenke?“) erinnernden Interaktionen etwas abgewinnen. Die letzte Umbaupause dieses Abends nutzen die Meisten für die eingehende Begutachtung des schicken Fanartikelsortiments und den restlosen Aufkauf früher Steinkind-Silberlinge, bevor pünktlich 23 Uhr die heißersehnte Antwort auf die Frage „Wer hat die dicksten Eier?“ aus den textsicheren Kehlen der nun mehr zahlreich vor der Bühne versammelten Anhängerschaft schallt: Steinkind! Die inzwischen zum Trio angewachsene Leipziger Combo hält, was ihr Image als Electroprolls verspricht: kontrovers, pornös, gemein, mitunter plakativ und doch nie oberflächlich, genresprengend. Kurzum: Punk-Attitüde meets Disco-Anarchie und unbedingte Tanzbarkeit. Heraus kommt der perfekte Soundtrack für eine Runde Hüpfen, Mitsingen und Biertrinken. In den gut 80 Minuten ihres Auftritts gibt es ein saftiges Potpourri aus ihren bisherigen drei Alben, gut geschüttelt und nicht gerührt. Dank Ronny Frenzels knackigem Gitarrenspiel kommen altgediente Club-Kracher wie „Deutschland brennt!“ oder „Steinkind“ in neuem, hörbar rockigerem Gewand daher. Ob nun ältere Titel wie „Trink Mich“, „Wut“, „Arsch rein“ oder neues Material wie „Hallo und Schönen Tag“, „Weil nur hier oben“ und das frenetisch gefeierte „GB Rita“ - die Menge freut’s. Und schert sich offenbar kein bisschen um die teilweise doch fast schon unüberwindbar scheinenden Genre-Unterschiede zwischen den einzelnen Songs. Als nach kurzer Zeit die ersten Rufe nach „Larissa“ laut werden, reagieren Steinkind prompt: zur Überraschung Vieler wird jetzt Motörheads „Ace of Spades“ in seine Bestandteile zerlegt und nach bester Steinkind-Manier wieder zusammengesetzt. Nein, Phil, Sàndor und Ronny haben keinen „Gottkomplex“. Aber sie wissen, wie man sein Publikum bei Laune hält ohne sich dabei dem Massengeschmack zu beugen. Wer nach dem Konzert noch stehen konnte, trollte sich zur Record Release Party in DF. Dem Rest blieb nur die Angst vor dem Schädel und dem Muskelkater in den Beinen am „Tag danach“.

Text: Anja Hassel

 

Read 3625 times Last modified on 15/05/2012

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