24 Years Louder Than Hell
Weniger Metal und dafür fetter Rock, ein bisschen Poser und eine Prise Schock prägen das Wacken Open Air 2013
Was wünscht sich ein Wackengänger zu Weihnachten? Schönes Wetter, keinen Schlamm und Metallica. Man könnte glatt meinen, dass das mit Artigkeit oder den leer gegessenen Tellern bei den Kollegen Metallern so eine Sache ist, denn schon im letzten Jahr wurde aus dem Wackener Infield eine Schlammrutsche. Wir machten uns auf in den hohen Norden um die klimatischen Bedingungen vor Ort genauestens zu prüfen und unsere Ohren gen Wind zu halten.
Aus jeder Richtung strömen Autos in Richtung in das holsteinische Nest, welches dank seines größten Metalfestival der Welt Ruhm erlangt hat. Spätestens als in der Sommersonne etwa 20 Kilometer vor Wacken der Verkehr an einer Autobahnbaustelle zum Erliegen kommt und Anreisende mit Campingstühlen neben der Fahrbahn sitzen oder Wikingerschach mit Bierdosen spielen, kommt Festivalfeeling auf. Als dann am Ortseingang Transparente die Festivalgänger zu Hause willkommen heißen, stellt sich ein ehrlicher Nackenschauer ein - genau wie beim ersten Schritt in den Wackinger Schlamm, der schon vor Anreise die Wege und Campingplätze markiert und an kaltfeuchte Nächte 2012 erinnert.
Nachdem die Heringe im lockeren Boden die Zelte gegen Windböen schützten, schützen die Zelte die Langhaarigen vor ersten Regenschauern. Doch auch das halbstündige Warten an der Bändchenausgabe und neu eingeführte Zwischenkontrollen an allen Zeltplatzausgängen, die Fremdgetränke zugunsten der örtlichen Händler ausschließen sollten, sorgen für Unmut. Organisationspanne Nummer eins für viele zeitig Angereiste war jedoch, dass sie weit entfernt vom Infield eingewiesen worden waren weil nähere Campingplätze noch nicht rechtzeitig freigegeben waren. Nicht der beste erste Wackentag ever.
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Auch der Mittwoch, der Tag mit den ersten Konzerten, startete mit einer bösen Überraschung. Kleinere Becher, gleicher Preis – drei Euro für 0,3 Liter Bier bei einem Metalfestival sorgten für Aufschreie bei den Fans. Im Hinblick auf knallsonnige Tage und der Gefahr von Hitzestichen wurden im Laufe des Festivals bei den Zwischenkontrollen wenigstens Wasserflaschen und Tetrapacks akzeptiert, die bald, mit Gaffaband befestigt, treuer Begleiter der Konzertgänger wurden.
Genug gemeckert, Zeit für gute Laune! Für die sorgte – natürlich – Mambo Kurt in der ersten Nacht. In Stimmung gebracht wurde die Menge zuvor jedoch von den Metal-Battle-Teilnehmern aus Frankreich, Karma Zero, die mit grandiosem Metalcore in Anlehnung an Heaven Shall Burn Vorfreude auf die kommenden Tage machten. Zwar hatte Mambo Kurt selbst schon bessere, leidenschaftlichere Auftritte und eine bessere Setlist aber bierselige Tänze im gigantischen Zelt vor der W.E.T. und Headbanger-Stage machten dennoch Lust auf mehr. Ein bisschen mehr, ein bisschen voller war es dagegen bei den Seebären von Santiano. Allein dort, wo die Musik von der Bühne kaum noch hörbar war, konnte man gemütlich stehen und den Shanties sowie dem Jubel der Menge lauschen. Da sagt nochmal einer Metalfans wären primitiv –selbst volkstümliche Seemannslieder erfahren hier Bedeutung.
Am Donnerstag kam dann jeder Wackenfan wieder zu seinem Element. Annihilator enterten nach dem traditionellen Eröffnungskonzert von Skyline die Bühne und schmetterten trotz Bullenhitze einen coolen Auftritt voll kraftvollem Trash-Metal hin. Ganze 19 Jahre nach der Gründung wirkten die Herren um Jeff Waters modern und zeitlos, kein Wunder dass sie zu den bekanntesten Trashbands weltweit gehören.
Zur Abkühlung und aus Schutz gegen die Sonne zog es viele Metaller auch tagsüber vor die Zeltbühnen. Besonders voll war es bei 9mm, die mit selbstbenannte, Assi-Rock’n’Roll vor einem kurzhaarigeren Wackenpublikum spielen. Neue Deutsche Härte war die Musikrichtung, die dank Rammstein als Headliner zahlreiche neue Wackenbesucher anzog, bei 9mm erlebten sie ihre erste Sternstunde. Die Band schmetterte nicht nur Deutschrock von der Bühne, sie feierte auch mit den Fans und schuf über Schlammpfützen hinweg eine große Gemeinschaft.
Auch Haggard spielten im kühlen Zelt und hatten durchaus keine leichte Aufgabe damit, die komplette Band auf die Headbanger-Stage zu bekommen. Die Mischung aus Klassik, Mittelalter und Metal wurde möglich gemacht von mehr als 15 Künstlern, die auf imposante Weise Growlen, Ochestergesänge und klassische verschiedensprachige Gesangslinien vereinten. Trotz Soundproblemen zu Beginn ein gelungener Auftritt!
Auf der BlackStage heizten Thunder ein, die mit ihrem bluesigen Hard Rock die perfekte Vorband für Deep Purple waren. Thunder könnte man die wahre Vorband der Vorbands nennen, die schon mit Aerosmith, Def Leppard, Bon Jovi, Status Quo und anderen Rockgrößen spielten. Nach Trennung, Reunion und erneuter Trennung war das Stelldichein auf dem Wacken der bisher letzte offizielle Auftritt der Londoner und damit ein gelungener Abschluss.
Deep Purple waren der erste Headliner des Wacken. Anders als die den ganzen Tag die True-Metal-Stage mit ihrem Bühnenaufbau blockierenden Rammstein setzten sie auf Understatement. Dabei begeisterten sie durch Spielfreude, Spaß und dem Know-How, das ihren Einfluss auf die Rockmusik erklärt. Nicht nur für das 3-D-Livevideo sondern aus reiner Seele erfreuten sich der charismatische Sänder Ian Paice und seine Kollegen an Songs, die vielen jungen Wackenbesuchern zu melodiös, zu verspielt, zu anspruchsvoll waren. Der Clash der Kulturen und der Clash der Generationen war vorprogrammiert und schnell zogen viele junge Rammsteinfans weiter gen True-Metal-Stage. Deep Purple erhielten natürlich dennoch Respekt: Zu Songs wie „Smoke on the Water“ oder dem Opener „Highway Star“ sang der gigantische Wackenchor aus 75000 Kehlen mit und selbst der Sonnenuntergang untermalte den Gig der nach LSD benannten Altrocker. Highlights waren neben benannten Songs das bunte Shirt und das glückliche Lächeln des Frontmanns, gigantisch jedoch auch das Keyboardschloss von Virtuose Don Airey, der seine Orgeln und Keyboards in jedem Song zu perfekt inszenierten Soli spielte. Legenden sehen auf Wacken Part eins: Check!
Mit Rammstein betrat der Hauptheadliner und eine weitere junge Legende die Wacken Stage. Für viele Metalfans undenkbar, war die Ernennung von Rammstein so umstritten wie sensationell. Erstes Highlight war die Bühne, die wie bei der gesamten Tour Rammsteins Handschrift trug und mit Pyrokanonen überhäuft Lust auf die Show machte. Kreislaufproblem waren vergessen, als die Deutschen nach persönlicher Ankündigung vom Wackenboss mit „Ich tu dir weh“ einen Vorgeschmack auf den perfekt inszenierten Auftritt gaben. Moshpits kommen auf, das Gröhlen, Jubeln und Klatschen der Fans ist ebenso donnernd wie die Pyroeffekte. Es riecht nach Schweiß, Bier, Sonnencreme, Silvesterknallern und Mensch und obwohl die Nacht kühl ist, kommt immer wieder Wärme auf, als Feuersalven aus einem Bogen oder Tankschläuchen geschossen kommen. Die Zuschauer verlieren sich in der Show die, durchchoreografiert und auf DVD gebannt, für die Livequalität von Rammstein steht. Die Songs sind arrangiert, die Effekte sitzen und die Stimmung kocht zu „Feuer frei!“, „Mein Teil“, „Du hast“ oder der mit Heino inszenierten Zugabe „Sonne“, auf die scheinbar Heinos Verabschiedung mit „Pussy“ folgte. Wo wir gerade bei Heino sind: Es scheint sehr wahrscheinlich, dass der Auftritt des Schlagerbarden für viele Zuschauer in den hinteren Reihen untergegangen ist, konnte man doch das Gesangsvorbild von Herrn Lindemann kaum vom Nachahmer unterscheiden. Mit lebenden Fackeln, über das Infield schwebenden Raketen und wenigen kritischen Stimmen, die die Liaison mit Heino oder die ausgelaugte Liveshow nach Zeitplan bedauerten, endete die Euphorie um Rammstein. Ein gelungener Tourabschluss und sicher einige Fans mehr auf der hohen Kante brachte das berühmteste deutsche Metalfestival der wohl berühmtesten deutschen Band derzeit.
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Nächster Morgen, gleiche Probleme. 840 Hitzeopfer gab es bis zum Auftritt von Rammstein, während des gesamten Wochenendes rechneten die Ordner mit insgesamt um die 4000. Hüte waren das begehrteste Gut auf dem riesigen Metalmarkt und als Neaera um 11 Uhr die ersten Metaller aus ihren Zelten fegen. Circle Pits und allerhand Menschengewusel bei schwirrender Hitze, kein Wunder dass die Fans von der Band aufgefordert wurden, ganz ganz vorsichtig zu sein. Der Bitte der sympathischen Death-Metaller aus Deutschland kamen die Fans gern nach und moshten Arm und Arm gemeinsam zum großartigen Auftritt der Band!
Powerwolf werden wieder einmal einer der witzigsten und dennoch musikalisch besten Auftritten. Mitsingssongs über Religion, Mythen, sympathische Ansagen, das rollende R von Sänger Attila Dorn machen einfach nur Spaß. Vielen Dankeschön sagt nicht nur die Band, sondern auch die Fans, die zu „We drink your blood“ den Acker mit ihren Stimmen zittern lassen.
Der Freitagnachmittag hat noch einige Highlights zu bieten. Ob Gojira, die lässigen Ugly Kid Joe, die gehypten Ishan mit einer Mischung aus Black- und Powermetal oder Soilwork, die mit neuem Sänger vor dem Publikum bestehen und eine tolle Show abliefern – so macht Festival Spaß. Auch Sabaton, die mit dem Publikum Feiern, statt einer Zugabe „noch ein Bier“ fordern und vor lauter Plausch mit dem Publikum fast das Spielen ihrer geilen Songs vergessen, passen zu diesem Tag. Die Stimmung ist bestens und die Anspannung steigt, da der Auftritt von Motörhead naht.
Das Infield füllt sich, vor der Blackstage ist kaum noch Platz und Wasserbecher werden über den wartenden Fans ausgekippt. „Lemmy,. Lemmy, Lemmy“ – Rufe, die echten Fans eine Gänsehaut bescheren. Hatte die Band nach Lemmys Bypassoperation die Show auf dem Wacken und weitere Konzerte abgesagt, vermeldeten sie kurz vor dem ersten August ihr Kommen. Gespannt warteten die Fans und wurde nicht enttäuscht, als bald „I know how to die“ durch die Lautsprecher brüllt. Authentischer könnte Lemmy, der blass und etwas kurzatmig scheint, kein Comeback gestalten. Doch nach 30 Minuten und einem Set voller Best-Ofs wie „Stay Clean“, „Metropolis“ oder „Damage Case“ war Schluss. Mit einem Hitzestich verließ Lemmy recht plötzlich die Bühne. Lemmy ginge es gut, er habe in kurzer Zeit 100 % gegeben und nicht weniger – das war sein Ziel, so die Wackenmacher. Versöhnlich und doch besorgt betrachten die Fans später Bilder im Internet, auf denen Lemmy lacht und zufrieden scheint. Das war nicht das letzte Wacken mit der Motörhead. Lemmy, Phil und Mickey D., wir freuen uns auf euch!
Auf der W.E.T.-Stage findet sich, verborgen unter dem Zeltdach, ein weiteres Highlight des Wacken 2013. Anvil spielen auf, bringen kanadischen Heavy Metal in Reinform und ihren neuen Bassisten mit und begeistern das Publikum. Anvil sind nicht nur bekannt für ihre schnellen Riffs, sondern auch für den extrovertiert bis verrückten Sänger Steve „Lips“ Kudlow und seinem Vibratorspiel auf der E-Gitarre. Für Anvil war es eine Ehre auf dem Wacken zu spielen – für die Wackenfans eine Freude ihnen dabei zuzusehen.
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Am Samstagmorgen fällt die richtige Entscheidung enorm schwer. Alestorm oder Fear Factory, Fear Factory oder Alestorm, blödes Wacken aber auch! Die Piratenmetaller Alestorm haben mehr Fans als die durch die Genre steigenden Fear Factory. Während diese mit gesanglichen Schwächen zu kämpfen haben, werden Alestorm durch Moshpits angetrieben, dann zieht es Fans beider Bands wieder zu Fear Factory, die einfach nur Gas geben. Liebe Wackenmacher, da müssen wohl beide Bands nochmal wieder kommen und in getrennten Slots spielen…
Die Amerikaner Lamb of God waren trotz ihrer 23-jährigen Bandgeschichte zum ersten Mal auf dem Wacken Open Air. Die bereits für einen Grammy nominierte Band spielten nicht nur eine geile Show, auch sie plädierten für Rücksicht und riefen Fans auf, hingefallen Mosher aufzurichten. Die sanfte Message, alle Metaller seien eine große Familie, passte kaum zu den treibenden Riffs der Metalcore-Legenden. Ein gelungener erster Auftritt auf heiligem Acker!
Die heitere Stimmung wird aufgenommen von den Apokalyptischen Reitern, die Spaß versprechen und das singende Publikum in den Bann ziehen. Sie liefern wie immer einen tollen Auftritt ab, bevor Anthrax die Bühne betreten. Als Teil der Big Four gelten sie als eine der Vorreiterbands in Sachen Trash Metal und zeigen genau das: Schweißtreibende Gitarrenriffs, treibende Drumparts und der eindringliche Gesang von Joey Belladonna heizen den Menschenmassen ein, die das Infield füllen. Zu Coversongs wie „TNT“ von ACDC oder „Long Live Rock’n’Roll“ grölen die Wackenbesucher ebenso mit wie zu den eigenen Hymnen von Anthrax, die mit „Indians“ oder „Caught in a Mosh“ Gänsehaut bei grauhaarigen Metalfans verursachen.
Ob nun schwere Rocksongs von Danzig oder eindringliche und höllenlaute Metalsongs von Trivium – das samstägliche Nachmittags-Lineup kann sich sehen lassen. In der Abenddämmerung betritt dann einer die Bühne, der verdient einer von drei Headlinern des Wacken 2013 war: Alice Cooper. Sympathisch, mit Freude an der Musik und einer großartigen Band zeigt sich der Altmeister des Classic Rock und spielt neben eigenen Klassikern „Break on through“ von den Doors oder „My Generation“. Seine Gruselshow wird von tollen Soli der Gitarristen Orianthi (die von Santana entdeckt wurde) und Coopers anderen grandiosen Musikern unterbrochen und bietet ansonsten Musik pur und ganz wenige aber wohl platzierte Worte. Wacken ist eben auch ein 65-jähriger Gruselrocker, der nicht trinkt, sich selbst schminkt, an Gott glaubt und seit 37 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet ist – besser als viele halb so alte Starkstromrocker!
Fasziniert vom Cooper-Gig und gespannt warten viele Fans auf den Auftritt von Nightwish, die mit neuer Sängerin Floor Jansen aufwarteten. Sie wurden nicht enttäuscht! Die hübsche Sängerin überzeugte stimmlich und passte sowohl auf die Bühne als auch in die Herzen der Fans. Sie lodert in einem sexy Korsagenoutfit mit den eindrucksvollen Pyros und einer tollen Lichtstimmung um die Wette. Der einmalige Aufwand wurde in einer Live-DVD festgehalten, die Klassiker wie „Wish I had an Angel“ oder „Nemo“ enthält.
Ebenso bombastisch versprachen Lingua Mortis feat. Rage zu werden. Lag es an den Soundproblemen oder an den vorangegangenen Musikhighlights: Die Powermetaller konnten mit ihrem Orchesterprojekt die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen und so leerte sich das Infield bei einsetzendem Regen. Subway to Sally verabschiedeten in alter Manier die Metalfans in die Realität zurück und während viele Fans in dieser Nacht in ihrem Zelt von Rammstein, Cooper oder Nightwish träumen, setzen die Ordner alles daran, die teils vom samstäglichen Regen aufgeweichten Wege befahrbar und so die Abreise für alle Fans weniger beschwerlich zu machen.
Insgesamt war es ein schönes Festival, wenn auch für traditionelle Metalfans etwas viel Neue Deutsche Härte die Plätze im Line-Up blockierten. Doch wie in jedem Jahr zeigt sich das Wacken offen für neue Einflüsse und im Jahr 25 werden die Macher garantiert zeigen, welche Klassiker, großen Metallegenden und unvergesslichen Momente sie auf die Bühne neben den brennenden Schädeln bringen werden.
instinct
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